Im Rahmen der En-Primeur Woche werden zum ersten Mal die Weine verkostet und bewertet, die im Herbst des jeweils vergangenen Jahres (dieses Mal Jahrgang 2023) geerntet wurden. Dafür kommen jedes Jahr im April die renommiertesten Personen der Weinwelt zusammen.
Zum Zeitpunkt der En-Primeur Woche – also etwas mehr als ein halbes Jahr nach der Ernte - haben die Weine die Gärung und die Cuvéetierung hinter sich. Nun steht die Reifung in den Barriques an, bis sie im nächsten Jahr abgefüllt werden. Somit liegen bei den Winzern immer zwei Jahrgänge im Keller.
Im Zuge zahlreicher Verkostungen der Union des Grands Crus präsentierten etwa 150 Châteaus ihre Weine des neuen Jahrgangs 2023. In einem noch kleineren, exklusiveren Ambiente wurden die Weine auf Einladung auch auf den einzelnen Châteaus vorgestellt.
Die En-Primeur-Woche startete dieses Jahr mit einer schönen Soirée am Sonntagabend, den 21.04.2024 im Beisein unserer Partner in Bordeaux.
Was steht im Vordergrund?
Der Austausch mit dem internationalen Publikum ist jedes Jahr äußerst aufschlussreich, da dadurch die Marktlage außerhalb Europas besser eingeschätzt werden kann. Egal, ob es sich um Handelshäuser aus den USA, Südamerika oder aus Hongkong und Australien handelt – in dieser Woche ist die ganze Welt in Bordeaux vertreten, um zu verkosten.
Hauptsächlich dreht sich alles um den neuen Jahrgang und die einzelnen Weine.
Die größeren Verkostungen helfen dabei, die grundsätzliche Qualität eines Jahrgangs zu ermitteln.
Wie verlief das Weinjahr 2023?
2023 war sowohl auf dem rechten Ufer (Pomerol, Saint-Émilion) als auch auf dem linken Ufer arbeitsintensiv. Vor allem der Mehltau und die regenreichen ersten Monate des vergangenen Jahres stellten eine Herausforderung für die Winzer dar.
Glücklicherweise hatten einige Winzer den Mehltau gut unter Kontrolle und haben hervorragende Qualitäten erzeugt. Die Tag/Nacht-Amplitude war ähnlich wie im Jahr 2022 wieder sehr groß, wodurch der Jahrgang eine Mischung aus frischen Noten, reifen Aromen und moderaten Alkoholgehalten aufweist.
Die Klimadaten der letzten Jahre zeigen einen klaren Trend. Die Niederschlagsmuster waren für einige Winzer nicht optimal, für andere hingegen genau richtig.
Die Temperaturkurve der einzelnen Monate ähnelt weniger einer Glocke mit den Spitzen in den Sommermonaten, sondern eher einer Darstellung mit zwei Peaks.
Die Monate wurden schon sehr früh warm, gefolgt von einem kleinen Temperaturabfall zur Lese und einer erneuten Erwärmung, was zu einer frühen Ernte und der Notwendigkeit führte, den Spagat zwischen phenolischer Reife und Zuckergehalten zu bewältigen.
Die Meinungen über den Jahrgang sind sehr heterogen, da manche Winzer aufgrund ihrer Lage, des Mikroklimas oder des Mikro-Terroirs bessere Voraussetzungen hatten als andere.
Auf Tertre Roteboeuf zum Beispiel hat der Weinberg vor dem Weingut eine Ostausrichtung, und die kleinen Terrassen sind ähnlich einem Amphitheater angelegt, was zu einer sehr guten Belüftung der Traubenzone durch den Wind vom Atlantik führt. Charaktervolle Weine und hervorragende Qualität wurden ähnlich von den auf dem Plateau gelegenen Weingütern in Pomerol produziert. Vieux Château Certan, L’Evangile und La Conseillante sind mir mit besonders guten Qualitäten in Erinnerung geblieben.
Dem Merlot dieses Jahrgangs steht die Tanninstruktur und Frische sehr gut. Nichtsdestotrotz steigen die Qualitäten in der Breite, je weiter ich mich im Médoc in Richtung Norden bewege. Die Regionen von Margaux und Pauillac werden von den Top-Châteaus angeführt. Château Margaux und Château Palmer haben ähnlich wie Pichon Comtesse de Lalande und Mouton Rothschild sehr gute Qualitäten produziert.
Welche Erkenntnisse konnten wir gewinnen?
Die in meinen Augen interessantesten Weine dieses Jahres kommen aus Saint-Estèphe. Die Produzenten dieser Region haben insgesamt sehr gute Qualitäten produziert. Mein Favorit ist in diesem Jahr somit auch aus Saint-Estèphe: Château Montrose. Wir sind nun schon bemüht, diesen Wein in ausreichender Menge zu erhalten.
Die Neuentdeckung dieses Jahres und ein Anwärter auf die Gruppe der Rising-Stars ist das 3,7 Hektar große Weingut von Maylis Marcenat in Saint-Émilion. In einer exponierten Lage gelegen und mit sehr alten Weinlagen versehen, hat Maylis das Weingut von ihrem Onkel übernommen, um einen Wein zu produzieren, der vor allem ihr selbst schmeckt. Offensichtlich trifft ihr Geschmack auch den vieler anderer, denn die internationale Nachfrage nach ihren Weinen steigt.
Ihr Weingut ist biozertifiziert, und die Stilistik der Weine ist eine Mischung aus neuen Stilen, unter anderem mit Barriques aus dem Burgund, und einer puristischen Weinbereitung mit Einflüssen der neuen Techniken im Weinbau. Ihre Weine sind lebendig und haben einen unglaublichen Zug. Maylis versucht, Reife und Säure in den Wein zu bringen, um eine Komplexität und Vielschichtigkeit zu erzeugen.
Sie schreckt auch nicht vor unkonventionellen Methoden zurück. So hat sie ihr Wohnzimmer einmal ausgeräumt und kurzerhand den 2022er Jahrgang zum Reifen in Barriques darin platziert. Während der Verkostung des 2023er Jahrgangs hat man erneut gemerkt, wie vielschichtig ihre Weine sind, und wir sind gespannt auf die zukünftige Zusammenarbeit.
Von den Côtes de Bordeaux Appellationen und dem Entre-Deux-Mers haben erneut die Weine aus Castillon besonders hervorgestochen. Robin von Winzer Jan Thienpont aus der bekannten Winzerfamilie von VCC, L’if und Le Pin hat einen hervorragenden Wein für die Ebene der Trading Opportunities erzeugt.
Auch scheint dieser Jahrgang für Weißweine eine interessante Möglichkeit gewesen zu sein. Die Domaine D’Alliance hat hier ebenfalls sehr gute Qualitäten erzeugt. Im Bereich der Süßweine hatte für mich das Weingut Guiraud einen interessanten Vertreter des Sauternes produziert, vor allem durch den erhöhten Sauvignon Blanc Anteil von fast 30% zu den 70% Sémillon, der überzeugte.
Es war wie immer eine aufschlussreiche Woche. In einem persönlichen Gespräch kann ich Ihnen weitere Eindrücke und Erkenntnisse schildern.